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Sind Patientenverfügungen wirklich verbindlich?

„Endlich Gesetz: Ärzte künftig an Patientenverfügung gebunden“, so oder so ähnlich lauteten in den letzten Wochen nahezu alle Titelzeilen der Presse. Hatte es doch der Gesetzgeber nach fast sechsjähriger Arbeit endlich geschafft, durch die neuen §1901a und §1901b BGB Patientenverfügungen im Gesetz zu regeln. Von drei Entwürfen hatte sich der interfraktionelle Entwurf des Abgeordneten Stünker durchgesetzt, im Gesetzgebungsverfahren dann aber noch einige Änderungen erfahren.

Doch wer genau hinschaut  wird feststellen, dass diese Aussagen gleich in dreifacher Hinsicht falsch sind. Schon der alte §1901a BGB sah zum einen vor, dass Schriftstücke mit Wünschen zur Wahrnehmung der Betreuung – und gemeint waren hiermit auch Patientenverfügungen – beim Betreuungsgericht abzugeben seien. Zum anderen besteht in der Rechtsprechung schon seit Jahren Einigkeit darüber, dass Patientenverfügungen für Ärzte und Pflegekräfte verbindlich sind, soweit sie konkrete Behandlungswünsche und  Ablehnungen beinhalten und keine Anzeichen dafür vorliegen, dass der Patient nicht mehr an seine Vorstellungen gebunden sein möchte. Die Rechtsprechung hat hierbei fast wortwörtlich die Leitlinien der Bundesärztekammer übernommen. Der größte Fehler liegt aber in dem Kern solcher Aussagen, nämlich dass Ärzte künftig an Patientenverfügungen gebunden sind. Denn das ist so unmittelbar seit dem 1. September nicht der Fall!

Um das zu  erläutern bedarf es eines kurzen Rückblicks in die Zeit vor der Neufassung. Seit Anbeginn stand bei Patientenverfügungen das Dilemma im Raum, dass Angehörige, Ärzte und Pflegekräfte einen Patienten vor sich hatten, bei dem niemand mit Sicherheit sagen konnte, ob er in der jetzigen Situation noch an dem Willen festhalten würde, den er seinerzeit in einer Patientenverfügung niedergelegt hatte. Fraglich war also, ob der Patient bei Kenntnis seiner jetzigen Lage immer noch eine gleichlautende Patientenverfügung aufgesetzt hätte. Man half sich mit zwei Erwägungen: Verbindlichkeit war geben, wenn die Verfügung nicht wesentlich älter als zwei Jahre war oder in diesem Rahmen aktualisiert/bestätigt wurde. Darüber hinaus durften keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Patient jetzt nicht mehr an seinem ehemals gefassten Wünschen festhalten würde. Gerade zweites hatte weitreichende Konsequenzen. Ärzte und Pflegekräfte, die sich so verhielten, wie es in der Patientenverfügung stand, waren nicht rechenschaftspflichtig. Diejenigen, die sich gegen eine Patientenverfügung stellen (also regelmäßig behaupteten, der Patient habe jetzt einen anderen Willen), mussten anhand konkreter Tatsachen belegen, warum die gegenwärtige Situation nicht dem entsprechen würde, was der Patient in seiner Verfügung niedergelegt hatte. Das aber war in den meisten Fällen ein Ding der Unmöglichkeit. Denn wer kann schon mit Sicherheit sagen, dass der Patient jetzt einen anderen Willen äußern würde, wenn er noch reden könnte.

Die heutige Gesetzeslage hat diese pragmatische Lösung auf den Kopf gestellt. Zwar steht im neuen §1901a BGB drin, dass der Betreuer einer Patientenverfügung „Ausdruck und Geltung zu verschaffen“ hat, sie also umsetzen muss. Doch zuvor „prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen“. Die bisher kaum einmal sicher zu beantwortende Frage, ob der Patient in der gegebenen Situation an seiner Verfügung festhält, wird durch die neue Regelung ins Zentrum der Entscheidung über eine Verbindlichkeit einer Patientenverfügung gestellt.

Das ist ein Eigentor des Gesetzgeber. Statt einer gewollten Stärkung der Patientenverfügung stellt das Gesetz eher eine Schwächung dar. Gestärkt wird hingegen die Macht der Betreuer. Hier liegt erhebliches Konfliktpotential insbesondere in den Fällen, in denen eine Betreuung durch einen Berufsbetreuer geführt wird und das Verhältnis zu den Angehörigen nicht das Beste ist.

Was folgt daraus für diejenigen, die eine Patientenverfügung aufgesetzt haben oder aufsetzen möchten? Zunächst bleibt es dabei, dass Patientenverfügungen sinnvoll sind. Jeder der eine solche Aufsetzt muss sich aber – auch unter Geltung des neuen Rechts – im Klaren darüber sein, dass es Situationen geben kann, in denen er einen anderen Willen als den niedergelegten hat, auf Grund seiner Erkrankung (z.B. Locked-in-Syndrom) diesen aber nicht äußern kann. Es ist eine persönliche Entscheidung, ob man dieses Risiko in Kauf nehmen möchte, ein Richtig oder Falsch gibt es nicht.

Als zweites sollte man eine Patientenverfügung künftig nie aufsetzen, ohne gleichzeitig dem Gericht klare und begründete Vorgaben zu machen, welche Person im Falle eines Falles die Betreuung übernehmen soll. Wer es sein soll, sollte gut überlegt sein. Es muss eine Person sein, die in der Lage ist, eine Patientenverfügung gegebenenfalls auch gegen ihre eigene innere Moral oder Trauer umzusetzen. Konkret: Man muss sich Gedanken darüber machen, ob man den eigenen Ehegatten nicht möglicherweise damit überfordert, wenn man von im als Betreuer erwartet, dass er bei Aussichtslosigkeit eine Herz-Lungen-Maschine abschalten lässt.

Als drittes sollte man in die eigene Verfügung eine Klausel aufnehmen, nachdem es unzulässig ist, zu unterstellen, dass man einen anderen als den niedergelegten Willen hat, sowie dass man insbesondere einem Betreuer untersagt, zum Ergebnis zu kommen, dass die Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Behandlungs- oder Lebenssituation zutrifft. Ob es aber dem Einzelnen zusteht, eine Prüfung auszuschließen, die dem Betreuer als gesetzliche Pflicht aufgetragen wurde, wird abzuwarten sein.

Foerster, Rechtsanwalt
Stand: 14.12.2012