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Fehlender Vorbehalt der Neubemessung in Erstbemessungserklärung

Mitgeteilt von Rechtsanwältin Jahr

Behält sich der Unfallversicherer eine Neubemessung in seiner Erklärung über die Leistungspflicht zur Erstbemessung der Invalidität nicht vor, beurteilt sich nach dem Inhalt der Erstbemessungserklärung, ob der Versicherer sich auf das Ergebnis einer Neubemessung der aus dem Unfall folgenden Invalidität zu berufen vermag oder ob er an das Ergebnis der Erstbemessung gebunden ist. Die Erklärung des Versicherers in dem Erstbemessungsschreiben, ob und in welcher Höhe er einen Anspruch anerkennt, entfaltet in der Regel keine rechtsgeschäftliche, schuldabändernde Regelung nach welcher der Versicherer sich des Neubemessungstechtes vergibt, mag er sich auch keine Neubemessung vorbehalten haben. Denn Rechtsgrund der Invaliditätsleistung ist nicht die Erklärung des Versicherers, dass er den Anspruch in einer bestimmten Höhe anerkennt, sondern weiterhin der Versicherungsvertrag, weshalb er eine nach dem Neubemessungsergebnis zu viel gezahlte bzw. nicht in voller Höhe geschuldeten Immunitätsleistung (anteilig) zurückverlangen kann (§ 812 BGB).
Hat der Versicherer jedoch bei Erstbemessung a) sich eine Neubemessung nicht vorbehalten und b) mit dem Erstbemessungsschreiben zu erkennen gegeben, dass er sich endgültig zur Leistungshöhe erklären will, so steht einem Rückforderungsanspruch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen.

So hat der BGH in seiner Entscheidung vom 11.9.2019, IV ZR 20/18 dem Versicherer ein Rückforderungsanspruch versagt, weil er in dem Erstbemessungsschreiben u.a. auf ein Abschlussgutachten Bezug nahm und den Begriff „abschließend“ verwandte. Mit dieser Formulierung schuf der Versicherer aktiv ein Vertrauenstatbestand betreffend der Unfallleistung, weshalb ihm ein Rückforderungsanspruch aufgrund Neubemessung versagt wurde.
Der BGH versagt daher einem Versicherer nicht deshalb eine Neubemessung und Rückforderung, nur weil dies nicht in der Erstbemessungserklärung vorbehalten wurde – ausgenommen die Parteien haben etwas anderes vereinbart (vertragliche Neubemessungergelungen) -, sondern hebt hervor, dass in denjenigen Fällen, in denen der Versicherer nicht aus anderen Gründen bereits vertraglich sich betreffend des Neubemessungsrechts einschränkte, anhand des Einzelfalls zu prüfen ist, wie der Versicherer sich im Zuge der Erstbemessung erklärte.

BGH vom 11.9.2019 - IV ZR 20/18